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Eisspeicher und Kältemaschinen: Fernkältesystem mit EER von 5,3

70 Prozent Stromersparnis

    Fernkälte bietet in stark verdichteten Stadtlagen wie Fußgängerzonen, Geschäftsvierteln, Büro- oder Gewerbeparks fast nur Vorteile. In München soll das im Jahr 2011 in Betrieb genommene innerstädtische Fern- kältenetz weiter ausgebaut werden. Deshalb haben die Stadtwerke München (SWM) die Kältezentrale unter dem Stachus auf eine Erzeugerleistung von 12 MW er-weitert. Aktuell wird im Herzen Münchens eine neue Trasse vom Odeonsplatz bis zum Tal“ erstellt und an das bestehende Kältenetz angeschlossen. Da die Fernkälte-Aktivitäten der Stadtwerke bei den Anliegern auf eine große Resonanz gestoßen sind, wurde 2017 eine zweite Kältezentrale (Herzogspitalstraße) in Betrieb genommen; eine dritte Kältezentrale am Odeonsplatz ist derzeit im Bau.

    Im Gegensatz zur klassischen Fernkälte mit rein maschineller Kälteerzeugung verfolgen die Stadtwerke München das Ziel, einen möglichst hohen Anteil an frei verfügbaren natürlichen Kältequellen in das Kältenetz einzubinden, mit direkter Kühlung im Winter und weitgehend maschineller Kühlung im Sommer.

    In erster Linie wird dabei das in der Stadt und im Münchner Umland üppig vorkommende Grundwasser genutzt, aber auch die oft unterirdisch verlaufenden Stadtbäche sowie das Wasser von Düker-Bauwerken im Bereich der U-Bahnen. Für Lastspitzen und als Redundanz sind im Stachusbauwerk zusätzlich zu den Kältemaschinen neun Eisspeicher mit insgesamt 170 000 l Füllvolumen in das Kältenetz eingebunden.

    Die Beladung der Eisspeicher erfolgt bevorzugt nachts, wenn die Kältenach-frage niedrig ist und billiger“ Nachtstrom bzw. Überschussstrom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Für die Rückkühlung der Kältemaschinen wird ebenfalls Grundwasser bzw. Stadtbachwasser genutzt. Dadurch arbeiten die Kältemaschinen sehr effizient mit Energy Efficiency Ratio (EER)-Werten von bis zu 5,3. Durch die Nutzung der natürlichen Kältepotenziale werden gegenüber einer rein maschinellen Kälteerzeugung rund 70 Prozent an elektrischem Strom eingespart.

    Sommerliche Lastspitzen wie im Winter

    Ein wesentlicher Antrieb für den Ausbau des Fernkältenetzes in München ist der stetig wachsende Strombedarf im Sommer mit Lastspitzen ähnlich wie im Winter. Experten gehen davon aus, dass in 20 Jahren der Bedarf an Kühlenergie ebenso hoch sein wird wie der an Heizenergie. Hauptgrund für diese Entwicklung ist der zunehmende Einsatz von Klimaanlagen für Verkaufsflächen des Einzelhandels, für Bürogebäude, für hochwertige Wohngebäude sowie für Rechenzentren. Besondere Impulse für den Ausbau der Fernkälte setzten laut SWM die Jahrhundertsommer der Jahre 2003, 2006 und 2015.

    Die SWM-Fachleute schätzen den Be-darf an Kälte allein in der Münchner Innenstadt auf 150 MW. Würde man die konventionellen Klima-Kaltwassersätze durch die leitungsgebundene Öko-Kälte“ ersetzen, könnten nach Schätzungen der SWM rund 25 000 t/a CO2-Emissionen eingespart werden. Bislang haben die SWM in den Fernkälteausbau eigenen Angaben zufolge bereits über 30 Mio. Euro investiert. Aus Sicht der Stadtwerke München sprechen folgende Argumente für einen Fernkälteanschluss:

    Reduzierung der Investitionskosten, da keine Kaltwassersätze und Rückkühler benötigt werden

    minimierter Instandhaltungsaufwand; Inspektionen, Wartungen und Reparaturen an Kältemaschinen und Rückkühlwerken sind dann beim Nutzer nicht mehr notwendig

    geliefert wird kaltes Wasser; die Kältemittelproblematik ist an einen kompetenten Dienstleister delegiert

    Raumgewinn durch frei werdende Technikräume; diese können anderweitig genutzt werden, ebenso Dachflächen, da Rückkühlbauwerke entfallen

    geringere Störungsanfälligkeit, da nur Übergabestation im Gebäude

    keine Schall- und Hygieneproblematik durch Rückkühlwerke

    keine zusätzliche Kosten für zukünftige Modernisierungen

    Insellösungen mit Öko-Kälte“

    Die zahlreichen Baustellen in München haben durch den Ausbau des Fernkältenetzes mit den typischen Verkehrsstaus und Umleitungen die öffentliche Wahrnehmung der ökologischen Fernkälte deutlich erhöht. So berichten die SWM von einem steigenden Interesse Münchner Unternehmen und Immobilienbesitzer an der umweltschonenden Kälteerzeugung, auch außerhalb des Fernkältenetzes. Wie es heißt, werden die SWM ihr umfangreiches Know-how im Kältebereich auch für kundenspezifische Insellösungen auf der Basis von Öko-Kälte“ anbieten. Ihren Vorteil sehen die SWM-Kälteexperten in ihren umfangreichen Erfahrungen bei Genehmigung, Planung und Betrieb sowie im Privileg, im öffentlichen Raum Brunnenanlagen bauen und nutzen zu können, das Wasser bestehender Gewässer und Düker energetisch anzapfen und Leitungen im kommunalen Raum verlegen zu dürfen.

    Beispiele für ausgeführe Einzellösungen in München:

    Grundwasserkälte aus U-Bahn-Dükern für das Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) der BMW Group im Münchner Norden; Einsparung von bis zu 10 GWh Strom bzw. Vermeidung von 6300 t CO2-Emissionen

    Grundwasserkälte für die SWM-Zentrale in München-Moosach und das angegliederte IT-Rathaus

    Grundwasserkälte für eine Großdruckerei in Moosach sowie weitere Gewerbebetriebe in der Umgebung

    Grundwasserkälte und -wärme (Düker) für ein Büro- und Geschäftshaus nahe Heimeranplatz mit späterem Anschluss weiterer Kunden. Der Einsatz einer Wärmepumpe, also die gleichzeitige Kälte- und Wärmenutzung, sorgt hier für eine ausgeglichene thermische Bilanz des Wasserhaushalts

    Fazit

    Fernkälteanlagen auf der Basis weitgehend natürlicher Kältequellen wie Grundwasser, Fließgewässer, Düker oder andere natürliche Wärmesenken entwickeln sich in Ballungsgebieten zu einer ernst zu nehmenden Alternative zu Einzellösungen mit maschineller Kälteerzeugung. Ein Fernkälteanschluss lohnt sich laut SWM bereits ab einer Leistung von 100 kW, abhängig von den Vollbenutzungsstunden und der Lage der Immobilie. Das überzeugendste Argument für den Kunden dürfte allerdings sein, dass er durch den Anschluss an ein Fernkältenetz von allen Verbindlichkeiten hinsichtlich der zahlreichen Erlässe, Verordnungen und Gesetze rund um Planung, Aufstellung und Betrieb von Kälteanlagen und Rückkühlbauwerken befreit ist.

    In verdichteten Geschäftslagen spricht auch der Platzgewinn aufgrund der hohen Immobilienpreise bzw. Mieten für einen Fernkälteanschluss. Ein wichtiges Entscheidungskriterium könnte künftig auch die Verankerung der Fernkälte im Gebäudeenergiegesetz (GEG) sein. Anstelle der anteiligen Deckung des Kälteenergiebedarfs durch die Nutzung erneuerbarer Energien kann diese Anforderung (§ 10 GEG, Absatz 3, Nummer 3) auch durch den Bezug von Fernkälte erfolgen.

    Realistische hydrothermale Standortverhältnisse als Planungsgrundlage

    Die während mehrerer Eiszeiten entstandene Münchner Schotterebene mit ihren teils sehr dicken grundwasserreichen Kiesschichten gilt als ideale erneuerbare Energiequelle zur thermischen Nutzung im Bereich der Wärme- und Kälteerzeugung. Trotz der grundsätzlich günstigen Rahmenbedingungen muss jedoch mit abweichenden lokalen Standortverhältnissen gerechnet werden. Die Dimensionierung geothermischer Anlagen sollte deshalb projektbezogen an das jeweilige hydrothermische Potenzial angepasst werden.

    Um den Aufwand für die Erkundung der Geopotenziale und damit die Planungskosten für geothermische Wärme- und Kälteanlagen abzusichern bzw. eine generelle Grundlage für den beschleunigten Ausbau der Geothermie im oberflächennahen Untergrund zu schaffen, wurde vom Lehrstuhl für Hydrogeologie der Technischen Universität München (TUM) in Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) das Projekt GEPO – Geothermisches Potenzial der Münchner Schotterebene – initiiert (https://www.hydro.geo.tum.de/projects/gepo/).

    Durch das Zusammenführen bereits vorliegender hydrothermaler Daten und den im Rahmen des Projekts gemessenen realen Grundwassertemperaturen sind erstmals verbindliche Aussagen der räumlich-zeitlichen Verteilung von Grundwassertemperaturen, deren Erwärmung bzw. Abkühlung sowie von längerfristigen Temperaturtrends möglich. Daraus lassen sich beispielsweise die Mächtigkeit von Grundwasserströmen sowie deren saisonale Temperatur ableiten und somit die Planungssicherheit verbessern.

    Im Folgeprojekt GeoPot, Geopotentials of the tertiary subsurface in the wider area of Munich“ (https://www.hydro.geo.tum.de/projects/geopot/), sollen die bisher gewonnenen Daten nochmals vertieft werden. Eines der Ziele des GeoPot-Projekts ist, die Auswirkungen von Wärmeeinleitungen (Abwärmefahnen) und Kälteentzug durch Infrastruktur und Nutzer zu erfassen und zu dokumentieren. Dadurch können die hydrothermalen Einflüsse auf nachfolgende Entnahme- und Schluckbrunnen bzw. auf Erdwärmesonden besser erfasst werden. Ziel sind realitätsnahe Planungsdaten der jeweiligen Ist-Situation mit der Option, im Zweifelsfall von einem Geothermieprojekt wegen thermischer Überlastung“ abzuraten.

    Fernkältebewertung im GEG-entwurf

    Der Referentenentwurf zum neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG) sieht vor, dass Fernkälte (und Fernwärme) künftig anstelle der anteiligen Deckung des Wärme- und Kälteenergiebedarfs durch erneuerbare Energie eingesetzt werden darf. Wörtlich heißt es im Referentenentwurf in § 45 Fernwärme oder Fernkälte:

    (1) Anstelle der anteiligen Deckung des Wärme- und Kälteenergiebedarfs durch die Nutzung erneuerbarer Energien kann die Anforderung nach § 10 Absatz 1 Nummer 3 auch dadurch erfüllt werden, dass durch den Bezug von Fernwärme oder Fernkälte nach Maßgabe von Absatz 2 der Wärme- und Kälteenergiebedarf mindestens in Höhe des Anteils nach den Sätzen 2 und 3 gedeckt wird. Maßgeblicher Anteil ist der Anteil, der nach den §§ 37 bis 41 oder nach den §§ 43 und 44 für diejenige Energie gilt, aus der die Fernwärme oder Fernkälte ganz oder teilweise stammt. Bei der Berechnung nach Satz 1 wird nur die bezogene Menge der Fernwärme oder Fernkälte angerechnet, die rechnerisch aus erneuerbaren Energien, aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme oder aus KWK-Anlagen stammt.

    (2) Die in dem Wärme- oder Kältenetz insgesamt verteilte Wärme oder Kälte muss stammen zu

    einem wesentlichen Anteil aus erneuerbaren Energien,

    mindestens 50 Prozent aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme,

    mindestens 50 Prozent aus KWK-Anlagen oder

    mindestens 50 Prozent durch eine Kombination der in den Nummern 1 bis 3 genannten Maßnahmen.

    Die §§ 37 bis 44 sind entsprechend anzuwenden.

    Wolfgang Schmid,

    freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München

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