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Es geht rund:

Die Kältemittelfrage treibt die Branche um

Der Anstieg sämtlicher Kältemittelpreise in den letzten Wochen dürfte wohl niemandem aus der Branche entgangen sein. An Erklärungen dazu fehlte es nicht, so verkündete beispielsweise Gonzalo Alonso, Vertriebsleiter bei DuPont Refrigerants: Steigende Preise für Öl und Gas und damit auch für Kältemittel-Rohstoffe machen die aktuelle Preisanpassung unausweichlich. Zudem hat sich der Preis für Schwefel, der für die Herstellung von Fluss-Säure (HF) verwendet wird, in den letzten Wochen nahezu verfünffacht, hauptsächlich aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Pflanzenschutzmitteln. Auch die Kosten für Flussspat und Chlor steigen signifikant an. Die anhaltend hohen Transportkosten tragen zusätzlich zur unerfreulichen Gesamtsituation bei.

Gleichzeitig dürften die Preiserhöhungen aber auch ein kleiner Vorgeschmack darauf sein, was die Branche erwartet, wenn R22 erst einmal knapp wird, zumal hier ganz erhebliche Mengen im Spiel sind. Lukrative Zeiten also für Kältemittelhersteller ... aber Achtung: es könnte brenzlig werden!

Dramatische Folgen

Bei unseren Nachbarn jenseits des Rheins, eigentlich bekannt dafür, die Dinge auf sich zukommen zu lassen, hat man dies schon vor einiger Zeit erkannt. Grund dafür waren alarmierende Berechnungen der renommierten Ecole des Mines, die der Regierung so sehr zu denken gaben, dass sie im Sommer letzten Jahres einen eindringlichen Appell an die Branche veröffentlichte: Der Staat macht die Fachleute [aus der Kälte- und Klimabranche] darauf aufmerksam, dass es ab dem Jahr 2010 aller Wahrscheinlichkeit nach zu Engpässen bei der Versorgung mit recyceltem R22 kommen wird [...] Um dem vorzubeugen, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  • Sicherstellung der Anlagendichtheit,
  • Einsatz von qualifiziertem Fachpersonal,
  • Rückgewinnung der HFCKWs aus Anlagen am Ende ihrer Lebensdauer und
  • ab sofort Planung von Umstellungen und Bau neuer Anlagen.

Klare Worte also, die man gleich noch besser nachvollziehen kann, wenn man die Berechnungen der Ecole des Mines kennt. So heißt es hier unter anderem: Werden keinerlei Maßnahmen ergriffen und keinerlei Umrüstungen durchgeführt, so können in dem Zeitraum von 2010 bis 2015 in den Sektoren der Gewerbe- und Industriekälte nur 20% der Nachfrage durch recyceltes Produkt aus Anlagen am Ende ihrer Lebensdauer gedeckt werden. Und für all diejenigen, die noch immer nicht überzeugt sind: allein in Frankreich war R22 im Jahr 2005 noch immer das am häufigsten verwendete Kältemittel mit einem Bestand von geschätzten 18300 Tonnen. Im Rahmen von Service- und Wartungsarbeiten wurden rund 3000 Tonnen R22 (42% aller Kältemittel) eingesetzt. Dementgegen steht die vergleichsweise geringe Menge an R22, die im gleichen Jahr aus Anlagen am Ende ihrer Lebensdauer zurückgewonnen wurde: nämlich nur rund 750 Tonnen laut Berechnungen der Ecole des Mines also gerade mal ein Viertel im Vergleich zu den benötigten Mengen, wobei derzeit ja noch Neuware zur Verfügung steht!

Kritisiert

Die Lage ist also mehr als kritisch, zumal man sich keineswegs einig ist, wie R22 denn nun ersetzt werden soll. Kältemittelhersteller nutzen natürlich die Gunst der Stunde und propagieren spezielle Retrofit-Lösungen für R22, wie zum Beispiel DuPont mit den Kältemitteln Isceon MO29 (R422D), Isceon MO79 (R422A) und Isceon MO59 (R417) oder auch Arkema mit Forane FX100 (R427A). Daneben gibt es natürlich die klassischen Lösungen R404A/R507, R407C, R410A und R134a, wie sie von allen Herstellern angeboten werden.

Auf der anderen Seite schwebt jedoch über all diesen Lösungen das Damoklesschwert namens Treibhauspotenzial, das hierzulande Interessengruppierungen und so manch einen Politiker dazu verleitet, schon jetzt vom künftigen Aus der HFKWs zu sprechen. Resultat: die Betreiber sind verunsichert und fragen sich, ob eine Umstellung auf diese Produkte überhaupt Sinn macht, wenn ihre Zukunft doch sowieso in den Sternen steht.

Die Alternative lautet, die Anlagen einfach bis zum Ende ihrer Lebensdauer weiterlaufen zu lassen und das Risiko in Kauf zu nehmen, in spätestens zwei Jahren mit Anlagenausfällen und entsprechenden Folgeschäden aufgrund von R22-Mangel konfrontiert zu werden. Das kann es natürlich auch nicht sein, schon allein nicht im Sinne der Umwelt. Denn dann entweicht R22 ganz besonders auch in Anbetracht der teilweise hohen Leckageraten alter Anlagen noch jahrelang in die Atmosphäre, greift die Ozonschicht an und trägt noch dazu zum Treibhauseffekt bei.

Alternativen

Welche Alternativen gibt es für bestehende Anlagen überhaupt noch, mal abgesehen von den HFKWs? Natürliche Kältemittel wie CO2, Ammoniak oder auch Kohlenwasserstoffe sind zwar Optionen, eignen sich aber in erster Linie für Neuanlagen. Und selbst hier scheiden sich die Geister. So wird CO2 zwar häufig hochgejubelt, doch selbst ein überzeugter Anhänger wie der Schotte Andy Pearson, Chairman der Interessengruppierung c-dig, äußert sich vorsichtig:

CO2 als Kältemittel ist sicher kein direkter Ersatz für HFKWs. Ganz im Gegenteil: in manchen Anwendungen, wie zum Beispiel in großen Chillern, sind HFKWs eine hervorragende Lösung. Die Besonderheit von CO2 besteht vielmehr darin, dass es neue Möglichkeiten gibt, seine ungewöhnlichen Eigenschaften zu nutzen. Daraus ergeben sich Vorteile für hocheffiziente Kälteanwendungen und Wärmerückgewinnung, die es vorher noch nicht gab. HFKW-Anlagen sind technisch ausgereift und ihre Funktionsweise ist genau bekannt, während sich CO2 noch im Anfangsstadium befindet. Es gibt sicher noch viel Entwicklungsarbeit zu den neuen Einsatzmöglichkeiten von CO2 zu leisten, bevor ein wirklicher Vergleich zwischen HFKWs und CO2 stattfinden kann.

Vorsicht also vor allzu großem Enthusiasmus, auch wenn der Gedanke eines sicheren Kältemittels ohne Ozonabbaupotenzial und mit nur minimalem GWP für viele und ganz besonders für Politiker verlockend sein mag ...

Frühzeitig

Apropos Politik: Der ungeklärten Fragen gibt es viele. Ist es auf diesem Hintergrund also wirklich angebracht, den Ausstieg aus R22 in Europa von 2015 auf 2012 vorzuziehen? Diese Idee geistert nämlich derzeit durch die Köpfe so manch eines Politikers und Branchenvertreters. Nachvollziehbar ist sie durchaus, zumindest was die Umwelt anbelangt. Auch hier liefert die Studie der Ecole des Mines Zahlen, die man nicht einfach vernachlässigen kann. So dominiert R22 in Frankreich in Bezug auf die CO2-Emissionen (CO2-Äquivalente) mit 28,6% im Vergleich zu 23% für R134a (davon die Mehrheit im Pkw-Klimabereich) und 21% für R404A (vorwiegend in der Gewerbekälte).

Trotzdem, ein vorgezogener Ausstieg in Europa macht, mit etwas Abstand betrachtet, wenig Sinn. Friedrich P. Busch, Director General EPEE, erklärt, warum: Aus Gründen der Planungssicherheit ist ein schnellerer bzw. vorgezogener Ausstieg in einer so kurzen Zeitspanne nicht sinnvoll. Die betroffene Industrie muss bereits heute Entscheidungen bezüglich der Fertigungsprozesse/Modifizierungen an den Kältemittelanlagen, Einsatz der Kältemittel und Budgetplanungen für das Zieldatum 2015 vornehmen. Nach vorsichtiger Schätzung wird der Kommissionsvorschlag zum vorgezogenen Ausstieg frühestens im Oktober dieses Jahres vorliegen, um dann in Rat und Parlament das Mitentscheidungsverfahren zu durchlaufen. Das Gesetz könnte frühestens Ende 2009 auf dem Tisch liegen, wobei ich in diesem Rechenexempel noch nicht eine weiter zu erwartende Verzögerung durch die im nächsten Frühjahr stattfindenden Parlamentsneuwahlen berücksichtigt habe. Selbst bei diesem optimistischen Zeitansatz blieben der Industrie knapp zwei Jahre, sich an das 2012 Ausstiegsszenario anzupassen und das ist nicht vereinbar mit den schon heute zu veranlassenden Maßnahmen.

Mangelware

Ganz zu schweigen von dem Fachkräftemangel in der Kälte- und Klimatechnik, ein Problem, das ganz Europa betrifft und höchste Dringlichkeit hat. So sind qualifizierte Fachleute in der Kälte- und Klimatechnik, die nicht nur für den Ausstieg aus R22, sondern auch im Sinne der EU-VO 842/2006 dringend gebraucht werden, europaweit absolute Mangelware.

Man nehme das Beispiel Frankreich mit seinem R22-Bestand von rund 18000 Tonnen, was weit über einer Million Anlagen entsprechen könnte. Angenommen, nur ein Viertel davon soll bis zum Ausstiegsdatum 2010 umgerüstet oder ersetzt werden, das heißt 250000 Anlagen in 21 Monaten, bzw. fast 3000 Anlagen pro Woche ... wer soll das erledigen, ganz zu schweigen von den anstehenden Dichtigkeitsprüfungen im Sinne der 842/2006 und natürlich dem üblichen Tagesgeschäft?

Ein Grund mehr für alle Beteiligten nicht nur die Betreiber, sondern gerade auch die Fachbetriebe vorausschauend zu handeln und bereits jetzt Aktionspläne für die kommenden Wochen und Monate auszuarbeiten. Parallel dazu heißt es für Berufsverbände, Regierungen usw. Werbung für das Berufsbild des Kälteanlagen­bauers zu machen, und so für die Zukunft vorzusorgen.A.V. -

Fragen an Experten aus der Branche

Vritherm GmbH, Leinfelden-Unteraichen

Herr de Vries, wie schätzen Sie die Zukunft der häufig kritisierten HFKWs ein?

Meiner Ansicht nach wird bei den derzeitigen Diskussionen nur das Treibhauspotenzial der einzelnen Kältemittel berücksichtigt, nicht aber die Tatsache, dass die HFKW-Kältemittel in vielen Fällen durch höhere Energieeffizienz die CO2-Emissionen verringern! Eine Folge davon ist z.B. die EU-Richtlinie 2006/40/EC für Fahrzeugklimaanlagen, die sich daraus ergibt, dass die sprunghafte Zunahme von R134a in diesem Bereich heute sind so gut wie alle Pkws mit Klimaanlagen ausgestattet als Gefahr für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen eingestuft wird.

Aber auch hier ist das letzte Wort in Bezug auf den Einsatz von HFKWs noch nicht gesprochen, denn zieht man alle Aspekte in Betracht, so ist es schwer, eine gleichwertige Alternative zu finden.

Was die EU-Verordnung 842/2006 anbelangt, so geht es hier, im Gegensatz zur Richtlinie 2006/40/EC für Fahrzeugklima, keineswegs um ein HFKW-Verbot, sondern vielmehr um Anlagendichtheit. Genau diese, kombiniert mit Maßnahmen wie geringerer Kältemittelfüllmenge und höherer Energieeffizienz bringt mit Sicherheit mehr in Bezug auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als ein grundsätzlicher Ersatz der HFKWs durch sogenannte natürliche Kältemittel wie CO2, Ammoniak oder Isobutan, wie er von mancher Stelle gefordert wird.

DuPont de Nemours (Deutschland) GmbH, Bad Homburg

Herr Gerstel, wie kritisch sehen Sie den kommenden R22-Ausstieg? Alles nur Panikmache oder droht hier tatsächlich eine mittlere Katastrophe?

Der HFCKW-Ausstieg (hauptsächlich R22) basiert auf der EG 2037/2000 und auf der ChemOzon­Schicht VO. Darin wird nach Ablauf des nächsten Jahres nicht nur der Verkauf von Neuware durch Produzenten und Fachhändler, sondern auch der Service (Nachfüllen) von bestehenden Anlagen verboten. Andererseits werden auf der Betreiberseite (Einzelhandel, Industrie, Lebensmittelproduktion u.a.) noch sehr viele Anlagen mit HFCKW-Kältemitteln betrieben. Etwa eine Mio. Anlagen sollen es laut Schätzungen insgesamt sein, darunter über 7500 noch mit R22 betriebene Lebensmittelmärkte. Dafür werden in diesem Jahr 700900 t R22 und andere HFCKW für Servicezwecke benötigt. Die Recycelte-Mengen, die nach 2010 noch verwendet werden dürfen, können nur einen Teil von diesem Bedarf abdecken.

Da nur etwa 8% der bestehenden Anlagen jedes Jahr durch neue, effizientere Anlagen ersetzt werden, gehen wir davon aus, dass es sehr bald zu Engpässen kommen kann. Mit unserer Aufklärungsarbeit am Markt erreichen wir vorwiegend nur sehr große Betreiber. Diese erfassen die Anzahl und den Zustand ihrer Anlagen, kategorisieren diese nach Wichtigkeit, beraten sich mit den Kälteanlagenbauern, testen verschiedene am Markt angebotene Lösungsvarianten, budgetieren die Kosten für die noch ausstehende Gesamtumstellung und treffen dann die Entscheidung für die bevorzugte Variante. Bei mehreren dieser genannten Firmen sind Umstellungen auf eine kosteneffiziente Lösung, z.B. die DuPont Isceon 9-er Reihe, voll im Gange.

Um den Begriff der Katastrophe aus Ihrer Fragestellung aufzugreifen, . ja, es kann für die Betreiber, die sich im Vorfeld nicht umfassend mit diesem Thema befasst haben und nicht rechtzeitig reagieren, zu einer solchen kommen. Hier ist ein hohes Maß an Ko­operation und Koordination zwischen Betreibern, Kälteanlagenbauern und deren Verbänden notwendig. DuPont Kältemittel engagiert sich ebenfalls sehr stark und bietet umfassende Beratung an.

Solvay Fluor GmbH, Hannover

Herr Meurer, halten Sie einen vorgezogenen Ausstieg aus den HFCKWs in Europa, wie er von manchen Branchenvertretern gefordert wird, für realistisch? Wäre die Industrie Ihrer Ansicht nach für einen Komplettausstieg in 2012 gerüstet?

Dieser Vorschlag zum eventuellen vorzeitigen Ausstieg aus den HFCKW im Jahr 2012 bezieht sich ausschließlich auf den speziellen Bereich der industriellen Prozesskühlung, andere Anwendungen sind hier nicht betroffen.

Viele Unternehmen u.a. auch die Solvay Gruppe haben allerdings schon heute mit der detaillierten Planung zur kompletten Umrüstung ihrer industriellen Kälteanlagen mit Zeithorizont 2015 angefangen, mit dem Ziel, in jedem Bereich die umweltfreundlichste und kostengünstigste Lösung, vor allem aber den optimalen Zeitpunkt zur Umrüstung zu finden.

Da Kälteanlagen immer wichtiger Bestandteil meist komplexer industrieller Fertigungsprozesse sind, ist eine sorgfältige, vor allem aber rechtzeitige Planung unabdingbar, um laufende Produktionsprozesse nicht zu unterbrechen und nach Möglichkeit planmäßige Unterhalt- und Wartungsaktivitäten nutzen zu können. Planungssicherheit wäre aufgrund des noch zu durchlaufenden, bekanntlich langwierigen europäischen Gesetzgebungsverfahrens demnach in keiner Weise gegeben. Den Vorschlag des vorzeitigen Ausstiegs aus den HFCKW in der industriellen Prozesskühlung halten wir daher für nicht realistisch. Schon heute getroffene Entscheidungen sowie laufende Planungen einschließlich der damit verbundenen Budgetzuteilungen lassen sich kurzfristig nicht ohne Weiteres anpassen oder sogar umkehren.-

A.V.

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