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Interview zu den Chancen der kontrollierten Wohnungslüftung

Pflicht oder Kür?

KK: Immer mehr Anlagen zur kontrollierten Wohnungslüftung werden verbaut – sowohl zentrale als auch dezentrale Technologien. Analysiert man die Zahlen jedoch etwas genauer, fällt auf, dass vor allen Dingen Neubauten mit ihnen ausgerüstet werden und nicht der Baubestand. Und selbst im Neubau gehört die kontrollierte Wohnungslüftung längst nicht zum Standard. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür?

Albert: Hierbei handelt es sich um einen Themenkomplex an möglichen Gründen, die derzeit einem weiteren Marktdurchbruch von Wohnungslüftungssystemen im Wege stehen. Einen Grund bietet beispielsweise die aktuelle Rechtslage, in der es noch keine gesetzlich verankerte Pflicht zur Notwendigkeit einer Lüftungsanlage unter bestimmten baulichen Voraussetzungen gibt. Hier muss aktuell über technisch anerkannte Regeln wie z. B. die DIN 1946-6 zum Nachweis des Lüftungskonzeptes und die energetische Schlüsselfunktion der kontrollierten Wohnraumlüftung im KfW-Effizienzhausbereich mühevoll argumentiert werden.

Die mögliche Geräuschentwicklung in den Räumen, die optische Beeinflussung des Gebäudes und der Wohnräume, Hygienethemen und auch finanzielle Gründe spielen außerdem weitere Rollen. Und letztendlich fehlen zunehmend auch ausgebildete Fachhandwerksbetriebe für die Planung und In­stallation dieser Anlagen. Der Platzbedarf speziell für zentrale Lüftungsanlagen und damit verbunden die rechtzeitige Integration in der frühen Bauphase durch Planer und Architekten ist entscheidend, weil der Hauswirtschaftsraum in Ein- und Zweifamilienhäusern ohnehin oft zu klein ausgelegt wird.

KK: Wie reagieren Sie als Hersteller darauf?

Albert: Nach unserer Überzeugung nehmen die Fachhandwerker eine Schlüsselrolle bei Systemen zur Wohnungslüftung ein. Deswegen haben wir ein breites Konzept aufgestellt, um die Fachhandwerker abzuholen und zu unterstützen. Das erstreckt sich von praxisgerechten Trainingskonzepten über eine Begleitung im Tagesgeschäft bis hin zu Serviceleistungen des Werkskundendienstes. Die Endkunden informieren wir sowohl durch eigene als auch herstellerübergreifende Kampagnen, um sie von den Vorteilen der kontrollierten Wohnungslüftung zu überzeugen. Auch unsere Auslegungs-Software planSoft ist eine gute Grundlage für die Zusammenstellung von Lüftungsanlagen jeglicher Art.

Darüber hinaus hat Vaillant seit gut einem Jahr zwei spezielle Wärmepumpen mit kombinierter Lüftungstechnik im Programm, die genau auf die Bedürfnisse im Neubau zugeschnitten sind und dort Vieles vereinfachen können.

KK: Worum handelt es sich dabei genau?

Albert: Es dreht sich einerseits um ein All-in-one-Gerät recoCompact exclusive für die Innenaufstellung, das neben der Wärmepumpe auch einen Warmwasserspeicher, eine Lüftungsanlage und die vollständige Hydraulik beinhaltet. Im Vergleich zu einzeln installierten Komponenten wird ca. 1 m² Platz gespart. Der notwendige Wandabstand ist mit 10 cm gering. Der Platz neben dem Gerät kann genutzt werden, da er nicht für Wartungen freigehalten werden muss. Da die Wartung ausschließlich von vorne erfolgt, sind alle Komponenten gut erreichbar. Die Fortluft wird zuerst über die Wärmerückgewinnung der Lüftungsanlage und dann über die Wärmepumpe geführt. Das bezeichnen wir als zweistufige Wärmerückgewinnung. So wird der Fortluft die Wärme fast vollständig entzogen und für die Wärmeversorgung des Gebäudes eingesetzt.

Durch die Regelung nach Luftfeuchtigkeit AguaCare trocknet die Raumluft im Winter nicht aus. So holen wir die Lüftungstechnik in die Selbstverständlichkeit der Anlagentechnik für Ein- und Zweifamilienhäuser. Außerdem entziehen wir mit der Feuchterückgewinnung dem Argument der trockenen Raumluft durch eine Lüftungsanlage den Nährboden.

KK: Hierbei handelt es sich aber um standardisierte Technik? Das All-in-one-Gerätekonzept passt sicher bei vielen typischen Einfamilienhäusern, letztendlich aber nicht für spezifische Bedürfnisse – z. B. in puncto Warmwasserbedarf.

Albert: Das ist richtig. Beim Gerät recoCompact exclusive handelt es sich in der Tat um ein weitgehend standardisiertes Produkt für neue Einfamilienhäuser. Deswegen bieten wir mit der versoTherm plus ein alternatives Wärmepumpen-Konzept, das ganz auf die individuelle Kombination ausgerichtet ist. Sie basiert zwar auf der recoCompact exclusive, zeigt sich aber offen für alle Ergänzungen.

Beispielsweise lässt sich die versoTherm plus mit drei unterschiedlichen Lösungen für die kontrollierte Wohnraumlüftung kombinieren: dem zentralen Wohnungslüftungsgerät recoVair, den Komponenten des dezentralen recoVair Lüftungssystems und der neuen Abluft-Lüftung versoVair. Mit ihr lässt sich ein Preis-/Leistungs-optimiertes einfaches Lüftungssystem aufbauen. Das versoVair-Modul wird dazu einfach auf der Wärmepumpe platziert und über ein kleines Kanalsystem mit den Ablufträumen wie z. B. Bad, WC oder Küche verbunden. Die Frischluft strömt durch spezielle Zuluftelemente in den Außenwänden in die Wohnräume. Weil die Abluft über die Wärmepumpe geführt wird, findet außerdem eine einfache Wärmerückgewinnung statt.

Für noch höhere Anforderungen lässt sich mit dem zentralen Wohnungslüftungsgerät recoVair eine weitere, zentral gesteuerte Variante aufbauen. Dazu wird das recoVair über eine neue Abluftbox an die versoTherm plus angeschlossen. Es entsteht damit ähnlich wie bei recoCompact exclusive eine zweistufige Wärmerückgewinnung. Das ist noch wirtschaftlicher und spart Heizkosten. Zudem entfällt der separate Wanddurchbruch für die Fortluft des recoVair, da der Luftstrom über die Wärmepumpe gleichzeitig mit abgeführt wird. Optional lässt sich ein Enthalpie-Wärmeübertrager einbinden, der eine Feuchterückgewinnung des zen­tralen recoVair-Systems komfortabel ermöglicht. Daraus resultiert eine besonders hohe Luftqualität im Gebäude.

Als dritte Variante lässt sich insbesondere im Baubestand ein dezentrales Lüftungssystem mit recoVair-Komponenten aufbauen. Auch diese beinhalten eine optimierte Wärmerückgewinnung. Gleichzeitig können bis zu 16 Einzelkomponenten untereinander vernetzt werden, um eine im gesamten Gebäude koordinierte Lüftung umzusetzen.

KK: Sehen Sie die Zukunft der Lüftungstechnik in derartigen Kombinationsgeräten?

Albert: Sowohl – als auch. All-in-one-Geräte sind eine gute Möglichkeit, die Lüftungstechnik intelligent mit der Haustechnik zu kombinieren und Komplettlösungen statt einzelner Komponenten zur Verfügung zu stellen. Der Vorteil liegt hier im hohen Vorfertigungsgrad der Komponenten und dem planbaren Platzbedarf verbunden mit aufgeräumter Optik im Aufstellraum. Jedoch kann damit nicht die erforderliche Vielfalt in der Lüftungstechnik abgedeckt, wohl aber einem Teilmarkt eine gute Lösung geboten werden. Wir brauchen daneben ein breites Programm an zentralen und dezentralen Lüftungskomponenten, um maßgeschneiderte, objektspezifische Konzepte zu planen und umzusetzen.

KK: Können eventuell zusätzliche Funktionen künftig die Lüftungstechnik so aufwerten, dass sie für Endkunden noch interessanter wird? Ich denke da zusätzlich an die Kühlung der versorgten Räume bzw. Gebäude.

Albert: Im Zusammenhang mit Wohnungslüftungssystemen sollten wir derzeit nicht von einer echten Kühlung, sondern maximal von einer natürlichen Temperierung über freie Kühlung sprechen. Nichtsdestotrotz ist es eine der technischen Herausforderungen für die Zukunft, hier praktikable und wirkungsvolle Lösungen anzubieten.

Aktuell lässt sich ein Wohngebäude beispielsweise über einen vorgeschalteten Erdwärmeübertrager wirkungsvoll temperieren. Diese Lösung ist jedoch noch sehr kostenintensiv, nicht bei jedem Bauvorhaben umsetzbar und hat dadurch eine eher geringe Marktdurchdringung. Künftig besteht herstellerseitig die Aufgabe, in zentralen Lüftungssystemen kühle Luft noch zielgerichteter und komfortabler im Wohnbereich zu verteilen, als das mit den heutigen Kanal- und Regelungssystemen umgesetzt werden kann. Darüber hinaus müssen dann speziell die hygienischen Anforderungen an Lüftungsanlagen mit Kühlung betrachtet werden.

KK: Bestehen gerade gegen zentrale Lüftungsanlagen auch Vorbehalte wegen eines höheren Wartungsaufwandes über die Lebensdauer einer Anlage?

Albert: Eine Wohnungslüftung, die mit den vom Hersteller vorgeschriebenen Filtern betrieben und deren Wartungs- und Filterwechselintervalle eingehalten werden, hat einen sehr geringen Wartungsaufwand. Wichtig dabei ist, dass die Anlage nicht während der Bauphase eines Gebäudes schon betrieben wurde und dadurch verschmutzt ist. Den Filterwechsel kann der Endkunde zudem schnell und einfach selbst durchführen.

KK: Erwarten Sie weitere technische Entwicklungen und Meilensteine bei der Technik der kontrollierten Wohnungslüftung? Wie könnten die relevanten Vorschriften oder die Gesetzgebung die weitere Entwicklung unterstützen?

Albert: Die eingesetzten Komponenten und das Gesamtsystem der kontrollierten Wohnungslüftung werden sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln – sowohl in der dezentralen als auch der zentralen Variante. Geräuschentwicklung, Windanfälligkeit und Optik sind hier herstellerunabhängige Stichworte für dezentrale Lüftungstechnik. Im zentralen Bereich dreht es sich eher um zusätzliche Features wie beispielsweise erhöhten Wohnkomfort durch Luftbefeuchtung oder Kühlung und Gesundheit durch hochwertige Luftfilterung der Außenluft. Derzeit wird die DIN 1946-6 zudem überarbeitet und wir erwarten davon weitere Optimierungen in Bezug auf noch praxisgerechtere Lüftungsanlagenauslegungen und Ausführung.

KK: Der Stellenwert der kontrollierten Wohnungslüftung ist in den vergangenen Jahren ohne Frage deutlich gewachsen. Dazu haben bekanntermaßen immer dichtere Gebäudehüllen beigetragen. Zudem hat sich das energetische Bewusstsein weiter positiv entwickelt. Was erwarten Sie an weiteren Entwicklungen in den kommenden Jahren? Wird die Relevanz von kontrollierter Wohnungslüftung weiter zunehmen?

Albert: Bedingt durch immer luftdichtere Gebäude und die Notwendigkeit, einen kontinuierlichen Luftaustausch zu generieren, ohne dass Wärmeenergie verloren geht, wird die Akzeptanz von Lüftungsanlagen weiter deutlich steigen. Dazu werden über kurz oder lang auch steigende Energiepreise und ggf. eine CO2-Besteuerung, die ja derzeit in der Diskussion ist, beitragen.

Parallel dazu werden Bemühungen weiter forciert, die eventuell kostenintensiv erzeugte Wohnwärme beim Fensterlüften nicht direkt wieder ins Freie zu lassen. Das Bewusstsein dafür, wie kontrollierte Wohnungslüftung hier unterstützen und aktiv Energiekosten sparen kann, wird dementsprechend weiter wachsen. Sowohl wir als Hersteller, aber auch das Fachhandwerk müssen dieses Bewusstsein weiter ausbauen und klare, einfache Informationen zur Aufklärung in den Markt tragen. Es ist dafür vielfältige Überzeugungsarbeit beim Endkunden erforderlich. Diese Aufgabe müssen wir als Branche gemeinsam stemmen.

Im Baubestand werden nach wie vor dezentrale Systeme dominieren, die aber vernetzt sind – sowohl untereinander als auch mit der weiter vorhandenen technischen Gebäudeausrüstung. Zentrale Lüftungstechnik wird hauptsächlich im Neubau mit neuen Komfort-, Kommunikations- und Effizienzmerkmalen aufwarten können.

KK: Vielen Dank für das Gespräch.

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