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Verkürzte Kündigungsfristen benachteiligen alle Arbeitnehmer

Änderungen im Kündigungsrecht

Einer 28-jährigen Arbeitnehmerin wurde nach einem zehnjährigen Beschäftigungsverhältnis mit einmonatigem Kündigungszeitraum fristgerecht gekündigt, denn laut § 622 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) haben Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres eines Mitarbeiters keinen Einfluss auf die Berechnung der Kündigungsfrist. Anstatt der zehn Beschäftigungsjahre musste der Chef bei der Kündigung lediglich drei Dienstjahre berücksichtigen. Daraus ergab sich eine einmonatige Kündigungsfrist. Wäre die Mitarbeiterin hingegen bei ihrer Einstellung älter als 25 Jahre gewesen, hätte der Arbeitgeber bei gleicher Beschäftigungsdauer eine viermonatige Kündigungsfrist einhalten müssen. Das zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) hatte beim Europäischen Gerichtshof angefragt, ob diese Regelung europarechtswidrig sei. Der EU-Gerichtshof in Luxemburg entschied, dass das deutsche Recht hier eine verbotene Altersdiskriminierung enthalte.

Der deutsche Gesetzgeber ist verpflichtet, die vom EuGH beanstandete Vorschrift zu streichen. Bisher ist auf deutscher Seite noch keine Reaktion erfolgt, berichtet Prof. Dr. Rolf Wank, Lehrstuhlinhaber für Arbeitsrecht an der Ruhr-Uni Bochum. Mit Sicherheit wird das zu erlassende deutsche Gesetz eine Rückwirkung bis zum Datum der EuGH-Entscheidung vorsehen. Ungeklärt ist dagegen, ob dar­über hinaus rückwirkend auch die Altfälle von dem EuGH-Urteil betroffen sein werden, was für eine Vielzahl anderer Bereiche Folgen haben wird. Eines ist jedoch sicher: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsräte können ab sofort die alte Regelung vergessen.

Der Gesetzgeber wollte Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer nicht berücksichtigen, weil jüngere Arbeitnehmer in der Regel mobiler und flexibler seien als ältere Arbeitnehmer; sie seien daher nicht so schutzbedürftig, erklärt Dr. Reinhard Singer, Professor für Arbeitsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Gesetzgeber hat jedoch diese sachlich durchaus einleuchtende Differenzierung nach Ansicht des EuGH nicht mit geeigneten Mitteln verfolgt. Denn auch bei einem 40-jährigen Arbeitnehmer, dem die Schutzwürdigkeit nicht abzusprechen ist, kann sich die Kürzung der Kündigungsfrist nachteilig auswirken, wenn er vor dem 25. Lebensjahr in den Betrieb eingetreten ist. Ihm werden nämlich bei einer 20-jährigen Betriebszugehörigkeit nicht 7 Monate Kündigungsfrist zugestanden, sondern lediglich 6 Monate. Diese unsachgemäße Differenzierung habe der EuGH zu Recht beanstandet und als verbotene Diskriminierung wegen des Alters gewertet.

Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeutet das Gerichtsurteil, dass die Bestimmung über die Verkürzung der Kündigungsfrist nicht mehr angewendet werden darf. Es gelten daher bei einer ordentlichen Kündigung uneingeschränkt die in § 622 BGB bestimmten Fristen ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer in dem Betrieb Zeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres zurückgelegt hat, erläutert Prof. Singer und fügt hinzu, dass das Urteil ab sofort gilt. Darüber hinausgehend wird man annehmen können, dass das Urteil des EuGH vom 19. Januar 2010 auch Rückwirkung entfaltet und innerhalb gewisser Grenzen (Verjährung, Ausschlussfristen, Vertrauensschutz) auch für frühere Kündigungen gilt. Da schon 2006 der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht erkannt wurde (der EuGH-Fall betraf eine Kündigung vom Dezember 2006), ist jedenfalls seit dieser Zeit das Vertrauen der Rechtsunterworfenen auf die Geltung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht mehr schutzwürdig. Allerdings ist die Rechtslage in Bezug auf die Rückwirkung noch nicht abschließend geklärt.

Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für Arbeitnehmer wie auch für Arbeitgeber. Auf die korrekt berechnete Kündigungsfrist kann sich nämlich der Arbeitnehmer auch dann berufen, wenn er sich gegen die Kündigung bislang nicht mit einer Kündigungsschutzklage zur Wehr gesetzt hat, erklärt Prof. Singer. Wer die Unwirksamkeit einer Kündigung geltend machen will, muss normalerweise binnen drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben. Der Arbeitnehmer, der jedoch lediglich die Einhaltung der Kündigungsfrist verlangt, will nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gerade nicht die Unwirksamkeit der Kündigung als solche festgestellt wissen. Er geht im Gegenteil von der Wirksamkeit der Kündigung aus und will lediglich geltend machen, sie wirke zu einem anderen Zeitpunkt, als es nach Auffassung des Arbeitgebers der Fall ist. Das hat vor allem zur Konsequenz, dass der Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Frist für eine Kündigungsschutzklage noch rückständigen Lohn verlangen kann. Dies gilt allerdings nur, wenn der Anspruch noch nicht verjährt ist und keine Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis vereinbart ist oder kraft Tarifvertrag gilt. Eine Verwirkung der Ansprüche kommt hingegen kaum in Betracht, weil das hierfür erforderliche Umstandsmoment fehlt.

Darüber hinaus hat die EuGH-Entscheidung nicht nur Auswirkung für die Berechnung von Kündigungsfristen. Was für die gesetzlichen Regelungen gilt, gilt gleichermaßen für Arbeits- und Tarifverträge, beispielsweise auch in der Metallindustrie. Dadurch gehören sämtliche Regelungen in Gesetzen, Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen, die Leistungen von der Vollendung eines gewissen Alters abhängig machen, auf den Prüfstand, beispielsweise für Jubiläumsgelder oder Sozialplanabfindungen. Entsprechendes gilt für die betriebliche Altersversorgung. So regelt das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften. Danach gelten lediglich Versorgungsansprüche, die nach Vollendung des 25. Lebensjahres erworben wurden.

Alle Regelungen in Gesetzen, Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen, die für die Berechnung von Kündigungsfristen oder die Teilhabe an Leistungen Zeiten vor Vollendung eines bestimmten Lebensjahres ausgrenzen, dürften wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot unzulässig sein.

Der § 622 (4) BGB lässt Regelungen durch Tarifvertrag ausdrücklich zu ob diese dann ggf. auch unwirksam sind, hat der EuGH nicht gesagt, beschreibt der Sachverständige für Versicherungsmathematik und Aktuar DAV, Dipl.-Math. Peter Schramm, Diethardt, die Sachlage. Einzelvertragliche Regelungen sind zunächst nicht betroffen. Also wenn man mit einem 50-jährigen Beschäftigten eine Frist von sechs Monaten, mit einem 30-jährigen eine solche von zwei Monaten einzelvertraglich vereinbart, oder umgekehrt, muss dies ja keine Altersdiskriminierung bedeuten, genauso wenig wie wenn der eine männlichen Geschlechts und der andere weiblich ist dies eine Geschlechtsdiskriminierung bedeuten muss. Es könnten ja andere sachliche Gründe vorliegen. Wenn dies statistisch relevant regelmäßig so erfolgt, könnte dies ein Indiz für eine Diskriminierung sein, wobei das Bundesarbeitsgericht (BAG) geurteilt hat, dass mit einer Statistik alleine ohne weitere Indizien noch kein Indiz bewiesen ist, das die Beweislast gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umkehrt (Urteil vom 22. Juli 2010 8 AZR 1012/08).

Ob andere nach dem Alter unterscheidende Regelungen eine Diskriminierung darstellen, hängt auch davon ab, ob dafür sachliche Gründe gemäß § 10 bzw. § 8 AGG vorliegen. Eine Altersteilzeitregelung z. B. zum Rentenübergang macht zwar bei einem 58-Jährigen Sinn, nicht aber bei einem 25-jährigen Berufsanfänger. Auch ist es sicher angemessen, dem 62-Jährigen keine 3-jährige Weiterbildung mehr zu gewähren. Sicher könnte man auch irgendwelche sachlichen Gründe vorbringen, weshalb erst ab 25 mit einer beschäftigungsdauerabhängigen Verlängerung der Kündigungsfrist begonnen werden müsste der EuGH hat dies aber verneint, zumal es ja auch angemessen und erforderlich sein müsste (vgl. § 10 AGG), also nicht jeder mögliche sachliche Grund reicht.

§ 10 AGG nennt Beispiele, wobei immer gefordert ist, dass die Regelung (z. B. Berücksichtigung des Alters) zur Erreichung des Zieles angemessen und erforderlich sei. Beispielsweise schon § 10 (6) AGG wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind zeigt, dass man schon nach dem Alter differenzieren kann.

Personalverantwortliche und Betriebsräte sind aufgefordert, ihre Vereinbarungen daraufhin zu durchforsten und durch zulässige Regelungen zu ersetzen. -

Ralf E. Geiling

Wirtschaftsjournalist und Fachbuchautor in Neuss

Ralf E. Geiling, Neuss

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