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Top-Thema des Monats

Mit Zwang zur Wärme

Das Problem dabei: Wärmenetze und Fernwärme lassen sich generell nicht „über einen Kamm scheren“. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof seine Definition von Fernwärme Ende 2011 recht weit gefasst: „Wird Wärme von einem Dritten nach unternehmenswirtschaftlichen Gesichtspunkten eigenständig produziert und an andere geliefert, so handelt es sich um Fernwärme. Auf die Nähe der Anlage zu den versorgenden Gebäuden oder das Vorhandensein eines größeren Leitungsnetzes kommt es nicht an.“

Vom Braunkohle-Kraftwerk bis zum Geothermie Kalt-Nahwärmenetz

Betrachtet man dazu parallel, aus welchen Quellen Wärmenetze tatsächlich gespeist werden, lässt sich die Dimension des Wirtschaftszweiges Fernwärme erst richtig einschätzen. Das Spektrum reicht von alten Kohle-Kraftwerken, die Abwärme noch gewinnbringend verkaufen wollen bis hin zu modernen und hoch effizienten Kalt-Nahwärmenetzen auf der Basis erneuerbarer Energieträger. Die tatsächlichen Wärmequellen dabei: Braunkohle, Kohle, Gas, Öl, Biomasse, Müll, Industrie-Abwärme, Geothermie, Solarthermie, Kraft-Wärme-Kopplung und Power to heat.

Weiterhin spielen die Temperaturen im Wärmenetz eine wichtige Rolle. Diese reichen von 180 °C bei Hochdruck-Heißwasser über 160 °C bei Hochdruck-Dampf bis hin zu Kaltwasser mit 15 bis 25 °C. Die Wärmeverluste, und damit die Effizienz sowie Nachhaltigkeit des Wärmenetzes bei diesen sehr unterschiedlichen Temperaturen sind schnell nachvollziehbar. Ebenso einfach fällt die Betrachtung der einzelnen Wärmequellen. Die Wärmeträger unterscheiden sich in ihrer Ökobilanz in puncto Klimaschutz mehr als nur deutlich. So lässt sich der CO2-Ausstoß eines Braunkohle-Kraftwerkes kaum mit Verfahren der Geothermie vergleichen oder gar gleichstellen.

Grundsätzlich scheint diese einfache Gleichung jedoch nicht für Wärmenetze zu gelten. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die klimaschädliche CO2-Schleuder Braunkohle-Kraftwerk mit einem Primärenergiefaktor von 0,7 eingestuft wird, sobald ein Wärmenetz im Spiel ist? Mit Klimaschutz und Energiewende hin zu erneuerbaren Energieträgern hat das nichts mehr zu tun.

Rund 82 Prozent aller Wärmenetze in Deutschland erreichen Primärenergiefaktor 0,7

Kurz zur Erläuterung: Beim Primärenergiefaktor handelt es sich prinzipiell um einen nützlichen Bewertungs-Maßstab, der hilft, unterschiedliche Energieträger miteinander zu vergleichen. Je geringer der Primärenergiefaktor, desto besser ist die primärenergetische Effizienz inklusive der gesamten Lieferkette. Für Braunkohle liegt er beispielsweise bei 1,2, für Erdgas bei 1,1. Für Strom beträgt der Primärenergiefaktor derzeit 1,8 – mit Tendenz nach unten. Wie relevant der für Fernwärmenetze herangezogene Primärenergiefaktor von 0,7 ist, zeigt eine Untersuchung der 3.372 Wärmenetze in Deutschland: 81,7 Prozent aller Wärmenetze erreichen – teils durch Zusammensetzungen von Energiequellen – einen Primärenergiefaktor von 0,7.

Doch wie entwickelt sich die Fernwärme in Deutschland derzeit? Betrachtet man die Heizungsstruktur im bundesdeutschen Wohnungsbestand, liegen Erdgas und Heizöl in den letzten 15 Jahren mehr als deutlich auf Platz 1. Die Fernwärme hält sich bei weitgehend 12 bis 13 Prozent stabil auf Platz 2. Langsam erkämpft sich die Technologie Wärmepumpe einen neuen Rang. Betrachtet man dagegen die Heizungsstruktur im Neubau, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Hier dominiert in der Hälfte aller Fälle zwar noch der Energieträger Erdgas. Die Fernwärme jedoch hat ihren Anteil innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Ähnlich sieht es bei der Zukunftstechnologie Wärmepumpe aus. Auch hier sieht man einen klaren Aufwärtstrend. Mit jeweils rund 20 Prozent Marktanteil im Neubau.

Regeln der freien Marktwirtschaft? Nicht für Fernwärme

Das Problem dabei: Während sich Wärmepumpe und Co. den Regeln der freien Marktwirtschaft stellen müssen, werden diese für Fernwärme und Wärmenetze bewusst außer Kraft gesetzt. Gerade deswegen ist hier ein äußerst lukrativer Wachstumsmarkt entstanden. Und zwar für nahezu alle Akteure in einer Win-win-Situation – bis auf die Umwelt… Für Energieversorger ist Fernwärme interessant, weil die Kunden Anschlusszwängen unterworfen sind. Einen Wettbewerb kennt der Fernwärmemarkt nicht. Energieerzeugung und Energieverteilung müssen auch nicht in getrennten Händen liegen – wie bei Strom, Gas oder Telekommunikation. Vielmehr existiert ein reales Preismonopol. Mit langfristigen Verträgen von 10 Jahren wird nicht nur eine langfristige Kundenbindung erreicht, sondern gleichzeitig bestmögliche langfristige Kalkulationssicherheit – ein Traum für jedes Unternehmen. Wohin das führt, zeigen zahlreiche Beispiele – so aus Freiburg. Hier werden pro kWh Heizwärme 21,1 Cent verlangt. Der aktuelle kWh-Preis für Erdgas liegt derzeit bei rund 5 bis 6 Cent.

Ähnlich positiv stellt sich Fernwärme für den Investor dar. Denn ein KfW-subventioniertes Gebäude lässt sich durch den Einsatz eines Fernwärmenetzes, das den Primärenergiefaktor 0,7 aufweist, schneller und kostengünstiger errichten. Alle KfW Effizienzhaus Anforderungen lassen sich problemlos realisieren. Zusätzliche Energiesparmaßnahmen am Haus können entfallen – die Investitionskosten und damit der Kaufpreis für den Endkunden sinken. Ähnliche Argumente haben auch die Kommunen, die über die per Gesetz diktierten Anschlusszwänge und die augenscheinliche Umweltfreundlichkeit eine grüne Weste haben.

Viele positive Argumente pro Wärmenetze – keine Frage. Und Wärmenetze können in der Tat positiv zur Klimawende und dem Umweltschutz beitragen – z. B. in Form von kalten Nahwärmenetzen. Hierbei dient beispielsweise ein Flächenkollektor oder eine Tiefenbohrung als Energiequelle. Über ein Verteilernetz wird dann rund 15 bis 30 °C warmes Wasser an die Verbrauchsorte transportiert und dort dezentral durch Wärmepumpen auf die benötigten Temperaturen für die Heizwärme- und Warmwasserversorgung gebracht. Das Ergebnis: höchste Effizienz und ein Primärenergiefaktor bis hin zu 0,0. Ergänzt durch Fotovoltaik und Batteriespeicher ergeben sich Plusenergie-Modellprojekte. Mittlerweile existieren mehr als 200 derartiger Nahwärmenetze in Deutschland. Mit durchschlagendem Erfolg. Zum Nutzen der Anwender. Und der Umwelt. Die Gemeinde Wüstenrot in Baden-Württemberg sei hier als eines der vielen überzeugenden Beispiele genannt.

Wärmelieferanten auch im Wärmenetz frei auswählen

Das führt fast automatisch zur Frage: Warum stellt sich die Fernwärme nicht den Bedingungen der freien Marktwirtschaft – mit einer strikten Trennung von Erzeuger und Netzbetreiber? Mit einer Möglichkeit für jeden Erzeuger seine Wärme in das Netz einzuspeisen? Mit der Chance für angeschlossene Haushalte, sich ihren Wärmelieferanten aus dem angeschlossenen Wärmenetz frei auszusuchen? Sei es Strom, sei es Gas, seien es Kommunikationsverbindungen – genau diese Gesetze der freien Marktwirtschaft und des fairen Wettbewerbs haben hier ihre Gültigkeit. Und haben bewiesen, dass sie funktionieren.

In der EU Heating & Cooling Strategy spielen Wärmepumpen und Wärmenetze eine wichtige Rolle. Ziel ist die Dekarbonisierung der Gebäude. Doch hier steht neben den Erneuerbaren Energieträgern prinzipiell auch die Energieeffizienz im Fokus. Dennoch werden Fernwärmenetze in die Betrachtungen mit aufgenommen. Das gleiche gilt für den Klimaschutzplan 2050 aus der deutschen Gesetzgebung. Hier dreht es sich u. a. um die Sektorkopplung und Wärmeversorgung im Quartier sowie die konsequente Nutzung industrieller Abwärme in Nah- und Fernwärmenetzen. Gleichzeitig wird aber auch betont, dass erneuerbare Energieträger in Wärmenetzen verstärkt eingesetzt werden sollen.

Im Entwurf der kommenden RES-Directive – der „Mutter“ des deutschen EEWärmeG – ist bereits enthalten, dass der Kunde eines Wärmenetzes vom Anschlusszwang befreit werden kann, wenn er eine Technologie zur Wärmeversorgung umsetzt, die höhere Anteile erneuerbarer Energie erbringt als das zur Verfügung stehende Wärmenetz.

Ähnliche Aussagen werden auch im Grünbuch Energieeffizienz 2016 des BMWi getroffen. Wärmenetze werden als Sektorkopplungstechnologie gesehen. Gleichzeitig wird ein frühzeitiger Anstoß für Investitionen in mit erneuerbarer Energie gespeisten Wärmenetzen gefordert. Wärmenetze werden dabei immer wieder als Mittel gesehen, um verschiedenste Technologien zusammenzubringen und Schwankungen im Stromnetz abzufangen. Das heißt: Strom-Wärme-Technologien wie Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplung, flexible Ausgleichstechniken wie Gaskessel und  Erneuerbare Energie-Technologien wie Geo- und Solarthermie versorgen Wärmenetze.

Die ersten Zeichen stehen also auf Richtungswechsel – pro Wärmenetz und pro Vernunft hin zu wirklich effizienten Lösungen. Das dient allen – nicht nur wenigen.

Fazit:

Es gibt sie noch – die weißen Flecken auf der Landkarte, in denen die Gesetze und Regeln der freien Marktwirtschaft nicht gelten. Schon in über 1.000 Städten und Gemeinden ist für Haus- und Wohnungseigentümer die freie Wahl eines Heizsystems extrem eingeschränkt bzw. unmöglich. Doch nach geltendem Regelwerk erreichen fast 82 % aller deutschen Wärmenetze einen Primärenergiefaktor von 0,7. So z. B. auch die CO2-Schleuder Braunkohle-Kraftwerk. Positives Beispiel sind die bereits über 200 Kalt-Nahwärmenetze in Deutschland, die auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit setzen. In den relevanten Zukunftsplänen sind sowohl in der EU als auch Deutschland erste Aussagen dazu getroffen worden, die das Monopol Fernwärme aufbrechen wollen.

Autor: Martin Schellhorn, Freier Fachjournalist

 

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