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10. KK-Fachtagung „Wie smart ist die Kältetechnik?“ (Teil 2)

Kältetechnik profitiert vom Umbau der Energieversorgung

Kann die Kälte-Klima-Branche vom Megatrend Smart Grid profitieren? Bei der10. Fachtagung der Fachzeitschrift DIE KÄLTE + Klimatechnik mit dem Titel Wie smart ist die Kältetechnik? Chancenund Perspektiven für den Anlagenbau am 16. Mai 2013 in Darmstadt wurde aufgezeigt, wie smart ready die Branche aufgestellt ist, wer das Umsetzungstempo bestimmt und wie smarte Geschäftsmodelle rund um das Thema Power to Cold, also die Umwandlung von überschüssigen Stromkontingenten in Kälteenergie aussehen könnte. Die gute Nachricht: Ja, die Kälte- und Klimaanlagen bieten ein für die Energiewirtschaft attraktives Lastverschiebungspotenzial, um positive und negative Regelenergie zur Stabi­lisierung der Stromnetze zur Verfügung zu stellen. Die schlechte Nachricht: Es fehlt weiterhin an den notwendigen Kommu­nikationsprotokollen, um die Automati­sierungswelten von Anlagen und Gebäuden mit denen der Stromnetze und Kraftwerke zu verbinden. Lesen Sie nun die Zusammenfassung der Statements folgender Referenten:.


Dr. Jürgen Süß: Die watt­genaue Leistungsaufnahme bei Kaltwassersätzen ist möglich

Das Potenzial zur Einsparung von Energiekosten in einem intelligenten Stromnetz liegt in einem einheitlichen Kommunikationsverfahren. Derzeit gibt es jedoch kein Protokoll, das die Schnittstelle zwischen Gebäude- und Netzautomation überbrückt. Dr. Jürgen Süß, Geschäftsführer Cofely Refrigeration, Lindau, hält es dennoch für sinnvoll, gewerbliche und industrielle Kälteanlagen bereits jetzt mit intelligenter Steuerungs- und Regelungstechnik auszurüsten, damit die Anlagen am Tag X problemlos mit dem intelligenten Stromnetz kommunizieren können.

Wir brauchen aber auch die Kommunikation der Geräte und Anlagen untereinander, um zu vermeiden, dass alle zur selben Zeit eingeschaltet sind. Unser Ziel muss sein, Lastspitzen zu vermeiden und die Anlagen mit den Bedürfnissen des Netzes zu koordinieren. Süß geht davon aus, dass die Anzahl der volatilen Einspeiser in das Stromnetz bis zur endgültigen Verabschiedung von den AKW rasant zunehmen wird. Je mehr Windstrom ins Netz eingespeist wird, desto intelligenter muss das Netz reagieren. Das Problem des künftigen Stromdesigns sei nicht der Strommangel, sondern die zeitweise Überversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien. Die kälte- und klimatechnischen Anlagen bieten hierfür Möglichkeiten, Unter- und Überkapazitäten der Strombereitstellung auszugleichen und gleichzeitig die Energiekosten zu senken. So sei es in klimatisierten Gebäuden gut möglich, die Kälteerzeugung in Zeiträume mit hoher Leistungszahl zu verschieben und dafür Überkapazitäten der Strombereitstellung sprich zeitvariable Stromtarife zu nutzen. Am wirtschaftlichsten sei die Nutzung der Speichermassen von Gebäuden über thermoaktive Bauteilsysteme. Ziel künftiger Gebäudeautomationssysteme müsse sein, Smart-Grid-geführte Betriebsweisen durch Softwareanpassungen zu realisieren. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Bedarf an M2M, also der automatisierte Informationsaustausch zwischen Endgeräten, wie Maschinen, Aggregate und zentrale Leitstellen, rasant zunehmen werde, erklärt Süß. Mit den modular aufgebauten Quantum-Kaltwassersätzen sei Cofely für einen nach Smart-Grid-Kriterien geführten Betrieb optimal aufgestellt. Süß nennt folgende Vorzüge:

  • wattgenaue Leistungsaufnahme, nach Vorgabe des Lastmanagements
  • Aktivierung der Leistungsbegrenzung bei Strommangel im Netz bzw. bei Hochtarifperioden
  • Aktivierung von Ladestrategien bei Stromüberschuss bzw. günstigen Stromangeboten, zum Beispiel durch a) Aufladen von Kältespeichernb) Verschiebung des Sollwertes der Verdampfungstemperatur, um beispielsweise einen Eisspeicher zu beladenc) gezielt ineffizienten Anlagenbetrieb mittels Heißgas-Bypass-Regelung, dadurch mehr Abwärmenutzung für Heizzwecke

Entscheidend für künftige Betreiberstrategien nach Smart-Grid-Kriterien seien nicht mehr allein die Energieeffizienz, sondern die systemischen Wirkungsgrade der Wärme-/KälteNutzung in Abhängigkeit der vom Versorger temporär angebotenen Energiekosten. Planer und Anlagenbauer müssen sich bereits jetzt auf die zukünftig veränderten Betriebsweisen einstellen, erklärt Süß. Wir brauchen aufeinander abgestimmte Komponenten, die regelungstechnisch vollständig miteinander verknüpft sind und alle Freiheitsgrade bei der Betriebsweise zulassen. Die bisher gültige Leitlinie maximale Energieeffizienz werde künftig von den Tarifangeboten der Versorger und der davon abhängigen, jeweils optimalen Systemeffizienz überlagert.


Michael Koch: Preisgünstige Wärme aus Geisterstrom

Trotz widriger Rahmenbedingungen bei der Strompreisentwicklung fühlt sich die Wärmepumpenbranche weiter im Aufwind. Bis 2030 rechnet der Bundesverband Wärmepumpen (BWP), den Bestand von aktuell 500 000 Geräten auf 3,5 Mio. zu erhöhen. Wesentliche Marktimpulse erhofft sich die Branche durch die wachsenden Stromüberschüsse aus erneuerbaren Energien. Unter allen Optionen, die temporären Stromüberschüsse zu nutzen, ist die Smart-Grid-geführte Wärmepumpe eine der besten Lösungen, sagt Michael Koch, Referent Politik und Medien vom BWP. Obwohl die Energieversorger noch keine intelligenten Stromzähler mit Preissignalen anbieten, arbeitet der BWP konsequent am Smart Grid Ready-Programm für Wärmepumpen (SG-ready Label). Die wachsende Anzahl an Wärmepumpen werde künftig sowohl positive als auch negative Regelenergie zur Stabilisierung der Netze und zur Verwertung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien bereitstellen. Der Anteil an Überschussstrom nimmt von Jahr zu Jahr zu, sagt Koch. Aktuell sei die Lage auf dem Strommarkt bereits so, dass Überschussstrom aus erneuerbaren Energien an ausländische Netze als sogenannter Geister- oder Wegwerfstrom verramscht werde. Die Rechnung dafür zahle der deutsche Verbraucher über höhere Strompreise. Weit wirtschaftlicher sei es, den Überschussstrom über eine Smart-Grid-Schnittstelle den Betreibern von Wärmepumpenanlagen anzubieten, um Speicher zu beladen. Für einen Smart-Grid-geführten Wärmepumpenbetrieb habe der BWP eine Schnittstelle mit den folgenden vier Schaltfunktionen entwickelt:

  • wärmegeführter Normalbetrieb: die Wärmepumpe läuft mit maximaler Effizienz
  • Abschaltbefehl durch das EVU: dieser sperrt die Wärmepumpe zur Vermeidung von Lastspitzen etwa 3 x 2 Stunden täglich
  • Einschaltempfehlung: dabei überheizt die Wärmepumpe gezielt das Heizsystem und speichert dadurch Wärme in die Bausubstanz, in das Heizsystem oder in den Pufferspeicher ein. Diese Funktion lohnt sich dann, wenn der Strom billiger ist als die Kosten für den Mehrverbrauch an Energie, der sich aus der niedrigeren Energieeffizienz durch die höheren Heiztemperaturen der Wärmepumpe ergibt
  • Einschaltbefehl: dieser startet Wärmepumpe und ggf. auch elektrische Zusatzheizungen. Lohnt sich bei sehr preisgünstigem Strom.

Erste SG-ready-Wärmepumpen wurden bereits auf der ISH 2013 präsentiert. Der BWP habe bisher 20 Label-Anfragen von Wärmepumpenherstellern genehmigt, das entspreche etwa 350 Geräten (Stand: 1. April 2013). Koch räumt ein, dass bisher keine Geschäftsmodelle mit lastvariablen Tarifen existieren. Grund dafür sei das regulatorische Umfeld des Strompreises. So setze sich der Wärmepumpenstrompreis bundesweiter Durchschnittswert 20,3 ct / kWh (Stand: 2013) aus etwa einem Drittel Be-schaffungskosten (7,07 ct / kWh) und zwei Drittel Steuern, Abgaben, Umlagen und Entgelten zusammen. Der BWP fordert deshalb bessere Rahmenbedingungen durch die Reduzierung von Vergütungen und Abgabensowie durch den Zugang zum Regelenergiemarkt für sogenannte Schwarmlösungen, also den kollektiven Einkauf von Wärmepumpenstrom durch einen Dienstleister.


Arno Poehlmann: Warm­wasserspeicher besser als Batteriespeicher

Wie komplex die Strompreisgestaltung und -entwicklung ist, verdeutlicht der Vortrag von Arno Poehlmann, Lechwerke Augsburg. Seine Prognose: Der Strompreis im öffentlichen Netz wird weiter steigen. Dafür nennt er folgende Gründe:

  • Netzausbau mit bis zu 4000 km Hochspannungstrassen
  • hohe Investitions- und Netzanbindungskosten von Offshore-Windparks
  • Abschaltung aller AKW in Deutschland bis 2022
  • Bau zusätzlicher Kraftwerke zum Ausgleich der Volatilität von PV- und Windenergieanlagen
  • Trend zur Eigenstromerzeugung bei Industrie- und Gewerkebetrieben, da der Brennstoff Gas preiswerter ist
  • Bildung von Energiegenossenschaften zur regionalen Produktion und Vermarktung von Strom und Wärme
  • anhaltende Kostendegression bei PV-Anlagen. Insbesondere Privatkunden werden künftig wegen der einfacheren Genehmigung von Kleinanlagen sowie der Preisvorteile von selbst erzeugtem Strom den Markt anheizen.

Der Stromabsatz der öffentlichen Versorgung werde insgesamt sinken. Die dezentrale Stromerzeugung auf eigenem Grundstück werde steigen, zumal hier Netznutzungsentgelt, Offshore-Abgaben, Konzessionsabgabe, Stromsteuer inklusive der anteiligen Mehrwertsteuern entfallen, erklärt Poehlmann. Diese Kosten werden auf die Bezieher von Strom aus dem öffentlichen Stromnetz verteilt. Preistreibend wirke auch die Ausrüstung aller Anschlüsse mit intelligenten Stromzählern und Datenanbindungen. Poehlmann: Das kostet Milliarden Euro. Manch ein sparsamer Kunde zahlt künftig für die Messeinrichtung womöglich mehr als für den bezogenen Strom.

Durch die unterschiedliche Besteuerung und Abgabenlast bei Strom und Erdgas werde die Wärmepumpe zunehmend unter Druck geraten. Beim Erdgaspreis haben wir 24 Prozent Anteil an Steuern und Abgaben, beim Wärmepumpenstrompreis dagegen fast 50 Prozent, erklärt Poehlmann. Er schlägt vor, PV-Strom aus Privatanlagen möglichst vor Ort für den Antrieb von Wärmepumpen zu nutzen. Dadurch könnten Abgaben und Entgelte gespart und aufwendige Netzausbauten vermieden werden. Anstatt teure Batteriespeicher zu installieren empfiehlt Poehlmann, überschüssigen PV-Strom von der eigenen Anlage sowie preisattraktive Stromangebote aus dem öffentlichen Netz zu nutzen und über Heizschwerter thermisch in Trinkwassererwärmern oder Heizungsanlagen zu speichern. Das sei wirtschaftlicher und leichter steuerbar als Batteriespeicher. Poehlmann begründet die Pufferung von PV-Strom in Heizungsanlagen so: Ein Batteriespeicher in einem Einfamilienhaus speichert bis zum Abend 5 bis 10 kWh Strom. Weil während der Sommerzeit über Nacht aber nur etwa 2 kWh an Strom verbraucht werde, stehe der Batteriespeicher am anderen Tag da er noch fast voll ist nicht als Puffer für die PV-Anlage zur Verfügung.

Die Pufferung von PV-Strom im Heizsystem hätte nach Ansicht von Poehlmann folgende Vorteile:

  • in einem Heizungs-Pufferspeicher mit 500-Liter-Inhalt können bei 30 Grad Temperaturdifferenz etwa 17,5 kWh eingespeichert werden
  • eine Fußbodenheizung kann durch 3 Grad Temperaturanhebung 25 kWh speichern
  • ein Warmwasserspeicher mit 400-Liter-Inhalt und 45 Grad Temperaturdifferenz kann etwa 21 kWh speichern.

Poehlmann plädiert deshalb dafür, den hy­briden Heizungssystemen mit Tauchsieder-Funktion mehr Beachtung zu schenken. Echt steuerbare Lasten im Haushalt gibt es derzeit nur im Wärmebereich. Mit Preissignalen über intelligente Stromzähler könnten wir als Energieversorger Angebot und Nachfrage auf der Stromseite vor Ort viel einfacher ausgleichen. Sein Vorschlag: Bestehende Heizsysteme durch den Einbau von elektrischen Heizelementen mit vergleichsweise geringem Aufwand zu Hybridheizungen umbauen. Auch Kunden ohne Eigenstromerzeugung und Pufferspeicher könnten damit in den Genuss von günstigem Überschussstrom kommen.

Fazit

Kälteanlagen bieten ein hohes thermisches Speichervermögen, das in intelligenten Stromnetzen zur Lastverschiebung und zur Bereitstellung von positiver und negativer Regelenergie genutzt werden kann. Derzeit existieren jedoch noch keine Tarifangebote, aus denen Geschäftsmodelle entwickelt werden könnten. Zwingend notwendig ist zunächst die Einigung der Gebäudetechnik-Branchen und der Energiewirtschaft auf eine standardisierte Schnittstelle zum Austausch von Daten und zum Empfang von Preissignalen. Die steuerliche Ungleichbehandlung von Strom und Erdgas am Energiemarkt wird den Markt für Kraft-Wärme-Kälte-Kopplungssysteme sofern nicht regulatorisch eingegriffen wird künftig mehr begünstigen. Steigende Strompreise könnten die Wärmepumpe unter Druck setzen, wenn es nicht gelingt, attraktive Strompreisangebote per Smart-Grid-Schnittstelle an den Verbraucher weiterzuleiten. TGA-Planer und Anlagenbauer sind aufgerufen, Smart-Grid-Funktionen jetzt schon einzuplanen, insbesondere in Bezug auf Speichermöglichkeit, Regelungs- und Steuerungsstrategien sowie das Teillastverhalten von Kälte-, Klima- und Wärmepumpenanlagen. Offen ist die Frage, wann der Markt für Smart-Grid-Lösungen in Gang kommen wird. Im schlimmsten Fall könnte es bis zum Jahr 2022 dauern, denn erst dann werden die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. -

Wolfgang Schmid

freier Fachjournalist für Technische Gebäude­ausrüstung, München

Wolfgang Schmid, München

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