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Kühlhäuser und Kälteanlagen in Ostdeutschland

Havarien mit NH3-Anlagenin den Jahren 1970 bis 1990

Die insgesamt 40 im Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft zusammengefassten Kühlhäuser der ehemaligen DDR wurden von 9 Kühlbetrieben verwaltet, die von Rostock bis Chemnitz früher Karl-Marx-Stadt angesiedelt waren. Das Kombinat fungierte als wirtschaftsleitendes Organ und war dem Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft unterstellt. Außer den 40 Kühlhäusern gab es noch einzelne, kleinere Objekte. Die zentral geleiteten Kühlhäuser im Osten verfügten insgesamt über 1593000 m3 gekühltes Volumen und 1949 t/d Gefrierkapazität. Als Vergleich dazu gab es während der Wendezeit in Westdeutschland 24 zentralisierte Kühlhäuser mit einem gekühlten Volumen von 1946000 m3 und einer Gefrierkapazität von 1096 t/d. Im Zuge der Wiedervereinigung haben sich viele marktwirtschaftliche Aspekte geändert, weshalb Anfang der 1990er Jahre in den neuen Bundesländern nur noch 16 Kühlhäuser in Betrieb waren.

Nun zur Technik: Die Altersstruktur und das technische Niveau der 40 Kühlhäuser, die alle mit dem Kältemittel NH3 arbeiteten, lässt sich wie folgt gruppieren2):

  • 12 Altkühlhäuser erbaut vor 1930
  • 12 Standardkühlhäuser erbaut in den 1950er Jahren
  • 3 Alt-Flachkühlhäuser erbaut Ende der 1950er Jahre
  • 6 Kühlhäuser Typ Treuen erbaut in den 1960er/1970er Jahren
  • 7 Kühlhäuser Typ Rostock erbaut in den 1970er/1980er Jahren

Die Altkühlhäuser waren Etagenbauten und erreichten Kühlraumtemperaturen von etwa 15 °C. Es wurde das Prinzip der indirekten Kühlung angewendet, d.h. die NH3-Kälteanlage beschränkte sich auf das Maschinenhaus, während die Luftkühler mit einer Chlorkalzium-Sole versorgt wurden. Überwiegend kamen Nassluftkühler zum Einsatz. Die zerstörerische Wirkung der Sole auf zementgebundene Bauteile und Korrosion an den Soleleitungen hatte große Schäden an diesen Kühlhäusern verursacht.

Technische Ausstattung

Als Verdichter kamen in den Altkühlhäusern zum großen Teil liegende Maschinen mit großem Zylinderdurchmesser zur Anwendung. In einem stillgelegten Kühlhaus in Berlin steht heute noch ein derartiger Verdichter der ehemaligen Maschinenfabrik Halle. Der HKK (Historische Kälte- und Klimatechnik e.V.) bemüht sich, diese Maschine zur musealen Anschauung zu gewinnen.

Die 12 Standardkühlhäuser sind ebenfalls Etagenkühlhäuser mit erreichbaren Kühlraumtemperaturen von etwa 15 bis 18 °C. Das kältetechnische Grundkonzept der Altkühlhäuser wurde auch bei den Standardkühlhäusern angewendet. Zum Einsatz kamen riemengetriebene, stehende 2-Zylinder-Verdichter der Maschinenfa­brik Halle als getrennte Hoch- und Niederdruck-Verdichter. Als Dämmmaterial musste Piatherm verwendet werden. Da dieser Dämmstoff hygroskopisch ist und die Wasserdampfsperren an der Außenseite der Dämmung schlecht waren, kam es zu Vereisungen.

Die Kühlhäuser vom Typ Treuen waren Flachkühlhäuser auf einer Gesamtgrund­fläche von über 12000 m2 und einem gekühlten Volumen von etwa 68000 m3. Die kältetechnische Konzeption war nun gekennzeichnet von direkter Kühlung, also von Kälteanlagen mit Rezirkulationsprinzip, Ab­schei­de­sammlern und Luftkühlung mit direkter Verdampfung in den Kühlräumen für 22 °C. Die anfangs eingebauten Rohrsys­teme zur Luftkühlung bereiteten allerdings Probleme beim Abtauen, weshalb zunehmend Zentralluftkühler eingebaut wurden. Zur Kälteerzeugung kamen 4- und 8-Zylinder-Verbundverdichter der Maschinenfabrik Halle bei 33 bis 36 °C Verdampfungstemperatur zum Einsatz. Vor den Verdunstungsverflüssigern wurde später begonnen Doppelrohrsysteme einzubauen, um die Kompressionswärme zur Brauchwassererwärmung zu nutzen. Eine Achillesferse hatte aber dieser Kühlhaustyp doch, nämlich die Deckendämmung der Kühlräume, die mit Teerpappe kaschiertem Piatherm realisiert wurde. Von diesen 6 Kühlhäusern sind deshalb heute auch nur noch 3 in Betrieb.

Die Kühlhäuser vom Typ Rostock sind Flachkühlhäuser mit einem Gefrierlagervolumen von etwa 50000 m3 und einem Kühllagervolumen von rund 20000 m3. Hier wurden zwei Baukörper realisiert, ein Gefrierlagerhaus und ein gesondertes Kühllagerhaus, in dem auch das Maschinenhaus integriert ist. In den Gefrierlagerräumen wurde bis zu 28 °C erreicht. Zum Einsatz kamen NH3-Kälteanlagen, die nach dem Rezirkulationsprinzip mit Zentralluftkühlern und Schraubenverdichtern von Kühlautomat arbeiteten. Hier kamen als Dämmstoff Polystyrol und Schaumglas zur Anwendung. Technik und Automatisierung entsprachen dem damaligen Weltstand.

Engpässe bei der Ersatzteilversorgung

Die Gewährleistung des Anlagenbetriebes in den Kühlhäusern erforderte oft besondere Anstrengungen. Grundsätzlich wurden als Bedienungspersonal nur qualifizierte Maschinisten eingesetzt, die von Zeit zu Zeit aktuell fachlich unterwiesen wurden. Außerdem wurden etwa jährlich Antihavarietrainings durchgeführt. Die materiellen Möglichkeiten zur Sicherung der komplexen Instandhaltung waren etwas komplizierter. Der Bedarf an neuen kältetechnischen oder sonstigen Ausrüstungen, Ersatzteilen, Austauschmaschinen, Erweiterungen und Neubauten mussten beim wirtschaftsleitenden Organ angemeldet werden. Dort wurden sie von allen Bedarfsträgern zusammengefasst und an das zuständige Ministerium gemeldet. Das Ministerium entschied dann in Kenntnis der möglichen Kapazität der Fachindustrie, in welchem Umfang den Bedarfsanmeldungen entsprochen werden konnte. Dieses materielle Volumen hieß Bilanzanteil. Der Bedarfsträger konnte dann im Rahmen des Bilanzanteiles mit den einschlägigen Fachbetrieben Liefer- und Leis­tungsverträge abschließen. Die Bilanzanteile reichten aber in den meisten Fällen nicht aus. Es wurden sogar Überlegungen angestellt, dringend benötigte Ausrüstungen zu importieren. Die damalige Sowjetunion kam hierfür in Betracht. Trotz allem muss man im Nachhinein feststellen, dass auch im Falle havariebedingten Bedarfes größeren Umfanges immer eine Lösung gefunden werden konnte.

Wenngleich der Sicherung des Anlagenbetriebes größte Aufmerksamkeit gewidmet wurde, konnten Vorkommnisse und Havarien nicht gänzlich ausgeschlossen werden. In den 40 Kühlhäusern ereigneten sich in den Jahren von 1970 bis 1990 insgesamt 27 Unregelmäßigkeiten und Havarien, meist mit NH3-Emissionen3). Bei den Unfällen waren 2 Todesopfer und 6 Verletzte zu beklagen. Bei 4 weiteren Havarien waren Warenqualitätsminderungen die Folge. Es gab 6 Kühlhausbrände, vornehmlich verursacht durch Fehler bei thermischen Füge- und Trennarbeiten, wobei in 3 Fällen starke Zerstörungen auftraten, das austretende Ammoniak jedoch nicht zu Havarieeskalationen führte.

Bei den Vorkommnissen mit NH3-Austritt handelt es sich um folgende Ereignisse:

  • 7-mal Schweißnaht- oder Rohrrisse durch Korrosion von außen, Schweißmängel und dynamische Rohrüberlastungen;
  • 4-mal Flüssigkeitsschläge durch Mängel der Sicherheitstechnik;
  • 7-mal Fehler bei der Durchführung von Reparaturarbeiten;
  • 3-mal grundlegende Technologiefehler bei Arbeiten und mangelnder Brandschutz;
  • 2-mal Explosionen bzw. Verpuffung durch Fehlhandlungen bei Wartungsarbeiten oder durch thermische Reparaturarbeiten.

In 2 Fällen kam es zu Vermischungen von Kühlsole mit Ammoniak durch Korrosion und durch Fehlbedienung der mit NH3 beaufschlagten Bündelrohr- und Steilrohrverdampfer, in deren Folge starke Salzausfällungen auftraten, die zum Anlagenausfall führten. In 2 weiteren Fällen führte Nichtbeachtung von Unfallverhütungsvorschriften zu Verletzungen bei Reparaturarbeiten, sowie zu lokal begrenzten Bränden.

Es ist also festzustellen, dass fast ausnahmslos subjektive Ursachen zu den Havarien führten. Eine Auswertung aufgetretener Fälle ist deshalb zwingend notwendig, um Erkenntnisse, die dabei gewonnen wurden, breitenwirksam zu verallgemeinern. Abschließend sollen 5 spektakuläre Havariefälle erläutert werden.

Fall 1: Brandschutzkontrolle ungenügend

Es sollte eine alte Rohrleitung in einem Kühlraum demontiert werden. Daraufhin wurden die in die Wand eingelassenen Rohrschellen durch Brennschneiden abgetrennt. Durch den Wärmeeintrag entzündete sich hinter der Vormauerung die Wärmedämmung aus Kork. Stunden später brannte das gesamte Flachdach. Die Brandausbreitung war so intensiv und großflächig, dass Löscharbeiten nicht mehr helfen konnten. Das gesamte Kühlhaus wurde vernichtet.

Fazit: Bei thermischen Arbeiten muss immer vorher eine mögliche Brandausbreitung geprüft und sicher verhindert werden.

Fall 2: Explosion im Abscheider

Hier bestand die Notwendigkeit, einen NH3-Pumpenanschluss am NH3-Abscheide­sammler zu verändern. Der Sammler wurde von NH3 entleert und entölt. Nicht erkennbar war, dass im Abscheider wegen des eintauchenden Abgangsrohres Ölreste mit gelöstem NH3 verblieben waren. Dann wurde an dem abzutrennenden Flansch mit Brennschneiden begonnen, wobei vorher Schutzgas an der Brennstelle vorbei eingeleitet wurde. Durch die Ejektorwirkung am Flansch­eintritt ist auch Luft in den Abscheider eingedrungen und es gelangten außerdem Schweißfunken mit hinein. Ergebnis: Ein zündfähiges Gemisch aus NH3, Öl, Luft und N2 verpuffte. Brandgase schossen aus dem Rohr heraus und entzündeten alles Brennbare in der Umgebung. Der Maschinist betätigte den Notschalter. Die Folge war, dass die Löschwasserpumpen im ersten Moment kein Wasser lieferten. Die Brandbekämpfung konnte also erst verzögert einsetzen. Die gesamten Wärmedämmungen der kalten Anlagenteile verbrannten, die große Hitzeentwicklung zerstörte weitere Anlagenabschnitte.

Fazit: Schutzgasspülungen an bereits vorher benutzten Ammoniak-Anlagenteilen müssen immer von innen nach außen geführt werden.

Fall 3: Ändern der Sicherheitseinrichtung

Durch offensichtliche Überfüllung der An-lage mit Kältemittel reagierte häufig der Niveauwächter und schaltete den zugehörenden Verdichter ab. Um das wiederholte Abschalten/Absaugen/Wiederanfahren zu vermeiden, wurde das obere Kommunikationsventil zwischen Niveauwächter und Abscheider gedrosselt und so die Schutzfunktion träge gemacht. Ergebnis: Infolge des Wärmeeinfalls aus der Umgebung verdampfte ein Teil des NH3 im Gehäuse des Niveauwächters, durch die Drosselung konnte jedoch der Dampf nicht so schnell abströmen und es entstand ein höherer Druck als im Abscheider, wodurch sich eine Niveaudifferenz Δx einstellte. Das wiederum hatte zur Folge, dass das maximal zulässige Niveau im Abscheider, das Gefahrenniveau, überschritten wurde. Die Saugdämpfe rissen Flüssigkeitsanteile mit und es kam zu intensiven Flüssigkeitsschlägen an den Verdichtern, worauf 2 Zylinderdeckel von Verdichtern barsten und durch das Maschinenhaus flogen. Zum Glück blieb es beim materiellen Schaden.

Fazit: Bei fehlerhaften Betriebsverhalten ist immer der Primärfehler zu suchen. Es ist unzulässig, nur den Sekundärfehler durch Manipulation der Sicherheitsautomatik zu beseitigen.

Fall 4: Druckwechsel beim Abtauen

Bei der Inbetriebnahme von Kühlhäusern einer neuen Bauserie ereigneten sich mehrfach Schweißnahtrisse und Rohrbrüche mit anschließenden umfangreichen NH3-Emissionen und zwangsläufigen Betriebsunterbrechungen. Beim Abtauen stellte sich im Verdampfer gegenüber dem Saugdruck ein sehr viel höherer Druck ein. Beim Öffnen des Flüssigkeitsvorlaufventils treffen Stoffströme mit rund 15 bar Druckdifferenz aufeinander, woraus unzulässige Belastungen und Brüche entstehen. Vor Prozessumschaltung musste ein Druckausgleich hergestellt werden, weshalb in den Regelstationen der druckabhängige Ausgleich nachgerüstet wurde.

Fazit: Auch bei langen Rohrleitungswegen mit anschließend starker Richtungsänderung müssen die dynamischen Kräfte berücksichtigt werden, die aus differenzdruckabhängiger Beschleunigung von Flüssigkeitsanteilen im Gasstrom resultieren können.

Fall 5:

Variante 1: An einer Flüssigkeitsleitung sollte eine Reparatur durchgeführt werden. Der Leitungsabschnitt wurde abgesperrt, an der Abflussseite jedoch nur durch ein Magnetventil. Ergebnis: Beim Öffnen des Rohrabschnittes wurde das Magnetventil durch die nun umgekehrte Druckdifferenz aufgedrückt und es trat NH3-Flüssigkeit aus.

Variante 2: An einer Saugleitung sollte eine Reparatur durchgeführt werden. Der Anlagenabschnitt wurde auf Unterdruck gefahren und die Rohrleitung geöffnet. Ergebnis: Während der Reparatur an der geöffneten Saugleitung wurde soviel Luft in die Anlage eingesaugt, dass aufgrund des stark gestiegenen Anlagendrucks die NH3-Verdichter abschalteten. Der Druck in der Saugleitung stieg daraufhin und es kam zu einem NH3-Austritt.

Variante 3: An einer Anlage mit zwei liegenden Verdichtern musste an einem Verdichter ein Arbeitsventil gewechselt werden. Es wurde vom ersten Verdichter der zweite auf Unterdruck abgesaugt. Der Zylinderkopf wurde geöffnet, um das Ventil auszutauschen. Während dessen wurde am ersten Verdichter die Stopfbuchse der Kolbenstange geölt, um die Erwärmung zu mindern. Ergebnis: Es gelangte Luft in die Anlage und es bildete sich im ersten Verdichter ein zündfähiges Gemisch aus NH3, Luft und erhitzten Öldämpfen. Es gab eine Explosion in der Anlage, die den Ölabscheider und die gesamte Druckleitung bis zum Verflüssiger aufriss.

Fazit: Vor Eingriffen in die Anlage müssen Reparaturtechnologien vorgegeben werden und das Personal muss auf alle funktionalen Zusammenhänge und Gefährdungen hingewiesen werden. -

Links

https://www.diekaelte.de/ WEBCODE kk663

Hier finden Sie Grundrisse der Kühlhäuser und eine tabellarische Darstellung der einzelnen Unfälle zum Herunterladen.

1) Vortrag anlässlich der Historikertagung 2009, Gemeinschaftsveranstaltung des HKK und der DKV-Senioren vom 18. 20.06.09 in Aschaffenburg.

2) Grundrisse der Kühlhäuser können über Webcode als PDF-Datei heruntergeladen werden. Der Webcode ist am Ende des Beitrags angegeben.

3) Eine tabellarische Aufbereitung der Havarien kann über Webcode als PDF-Datei heruntergeladen werden. Der Webcode ist am Ende des Beitrags angegeben.

Dr.-Ing. Günter Kaul,

Inhaber vom Ingenieurbüro Dr.-Ing. Günter Kaul, Beratung, Planung, Service, Berlin

Dr. Günter Kaul, Berlin

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